Vor-Ort-Besuch in Amsterdam, Niederlande
Einleitung
Der vierte Besuch im Rahmen des Projekts „Überwindung von Impfhindernissen“ fand vom 20. bis 22. September 2023 in Amsterdam in den Niederlanden statt. Im Mittelpunkt des Besuchs stand der Einsatz mobiler Impfeinheiten (MV-Einheiten), eine vorbildliche Lösung zur Steigerung der COVID-19-Impfrate mithilfe von Bussen oder temporär geöffneten Impfstellen. Zielgruppe der Initiative waren Personen mit Wohnsitz in Gegenden mit einer vergleichsweise niedrigen Impfrate sowie Personengruppen mit niedrigem sozioökonomischen Status, Strafgefangene und Analphabeten.
Das niederländische Nationale Institut für öffentliche Gesundheit und Umwelt (Rijksintituut voor volksgezondheid en milieu (RIVM)) begrüßte 26 Teilnehmer/innen aus 15 EU-Mitgliedstaaten. Diese vertraten nationale Gesundheitsinstitutionen, Gesundheitsministerien sowie nationale Immunisierungsstellen.
Mit dem Besuch wurden folgende Ziele verfolgt:
- Gewinnung von Erkenntnissen zu den mobilen Impfeinheiten in den Niederlanden sowie Lehren aus ihrem Erfolg
- Förderung des wechselseitigen Lernens durch Schaffung eines Raumes für den Austausch von Wissen und Erfahrungen
- Entwicklung von Ideen dazu, wie medizinische Fachkräfte aus den Mitgliedstaaten dieses Modell in ihre Länder übertragen können
Im Rahmen des Besuchs erhielten das niederländische Nationale Institut für öffentliche Gesundheit und Umwelt (Rijksinstituut voor volksgezondheid en milieu (RIVM)), der Kommunale Gesundheitsdienst Amsterdam (GGD Amsterdam) und der Verband der Krankenversicherungen (GGD GHOR Nederland) von der Europäischen Exekutivagentur für Gesundheit und Digitales (HaDEA) ein Zertifikat über herausragende Praxis.
Mobile Impfeinheiten zur Erhöhung der COVID-19-Impfraten
Ziel
Im Verlauf der ersten Impfkampagne gegen COVID-19 traten bei den Zahlen zur Impfrate im zeitlichen Verlauf erhebliche Unterschiede zwischen verschiedenen Regionen und Wohnvierteln in den Niederlanden zutage. Einige dieser Unterschiede wiesen scheinbar einen Zusammenhang mit der Erreichbarkeit sowie Informationsdefiziten in Wohnvierteln und Regionen mit geringeren Impfraten auf.
Zur Bewältigung dieser Hindernisse stellten kommunale Gesundheitsdienste bei den folgenden Impfkampagnen gegen COVID-19 in verschiedenen Wohnvierteln in den gesamten Niederlanden mobile Impfeinheiten (MV-Einheiten) bereit.
Verschiedene kommunale Gesundheitsdienste (nicht nur in Amsterdam) betrieben Impfbusse in mehreren Wohnvierteln, um Menschen über die Impfstoffe gegen COVID-19 zu informieren und Impfungen anzubieten. Diese wurden direkt bei Kontakt am Impfbus angeboten, ohne dass hierfür vorab ein Termin vereinbart werden musste. Mit dem Impfbus wurden Erst- und Zweitimpfungen für alle Bürgerinnen und Bürger im Wohnviertel angeboten, die sich gegen COVID-19 impfen lassen wollten.
Zusätzlich zum Erhalt der Impfung erhielten die Anwohner in den angefahrenen Wohnvierteln Gesundheitsinformationen (häufig in verschiedenen Sprachen) sowie die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Medizinische Fachkräfte, die bisweilen auch von zentralen Bezugs- und Vertrauenspersonen dieser Wohnviertel begleitet wurden, verteilten Flugblätter und Flyer, stellten Poster auf und führten persönliche Gespräche mit Einzelpersonen und Gruppen. Das Ziel dieser Maßnahmen bestand darin, Impfhindernisse durch zugängliche Impfdienste, kulturell angemessene Informationen und Gespräche abzubauen sowie in diesem Zusammenhang Vertrauen aufzubauen und vermehrt Wissen über Impfungen zu vermitteln.
Beteiligte Akteure und Umsetzung
Das Gesundheitsministerium (Ministerie van Volksgezondheid, Welzijn en Sport) ist für die Zuweisung der Impfprogramme verantwortlich. Das Ministerium wird vom Nationalen Gesundheitsrat (Gezondheidsraad), einem unabhängigen wissenschaftlichen Beratungsgremium für den Bereich öffentliche Gesundheit, beraten, unter anderem auch zu Impfempfehlungen für bestimmte Zielgruppen. Im Nationalen Gesundheitsrat sind unter dem Vorsitz eines Präsidenten sowie eines Vizepräsidenten 100 Mitglieder aus allen Teilen des Landes sowie verschiedensten Fachdisziplinen vertreten. Gemeinsam beschäftigen sie sich mit sechs Tätigkeitsbereichen: Gesundheitsversorgung, Prävention, gesunde Ernährung, Umweltmedizin, gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen sowie Innovation und Wissensinfrastruktur.
Das Nationale Institut für öffentliche Gesundheit und Umwelt (Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Millieu, RIVM) organisiert Impfprogramme, führt diese durch und überwacht sie und zwar auf nationaler Ebene in Zusammenarbeit mit regionalen Partnern, kommunalen Gesundheitsdiensten und nichtstaatlichen Organisationen (NRO).
Auf der Grundlage von Erkenntnissen zu Impfraten und spezifischem regionalen Wissen wählen die regionalen Abteilungen der kommunalen Gesundheitsdienste bestimmte Gegenden aus, in denen Interventionen notwendig sind.
Bereitstellung von Mitteln
In den Niederlanden sind Impfungen für Angehörige einer bestimmten berechtigten Zielgruppe generell kostenfrei am Verabreichungsort erhältlich. Personen, die keiner berechtigten Zielgruppe angehören, müssen sowohl den Impfstoff als auch seine Verabreichung privat bezahlen. Dies wäre beispielsweise bei Eltern der Fall, die nach Kinderimpfungen wie Windpocken fragen.
Die mobilen Impfeinheiten werden vom niederländischen Ministerium für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport finanziert. Während der Kampagne wurden die Busse kostenfrei zur Verfügung gestellt. Die Regionen konnten darüber entscheiden, wie häufig und lange die Busse zum Einsatz kamen und übernahmen die Koordination sowie die Personalbesetzung.
Ergebnisse
Die vorläufigen Ergebnisse aus der Region Amsterdam lassen erkennen, dass die durchschnittliche Tagesimpfrate im jeweiligen Wohnviertel bei der ersten Dosis des Impfstoffes gegen COVID-19 an Tagen, in denen Impfeinheiten vor Ort waren, um 26 % höher lag als an Tagen ohne Impfbus. Dies deutet darauf hin, dass die Impfrate durch den Einsatz von mobilen Impfeinheiten erhöht werden kann.
Der Erfolg dieses Programms war der Ausgangspunkt für den Einsatz mobiler Impfeinheiten (MV-Einheiten) im Rahmen des Impfprogramms gegen das Humane Papilloma-Virus (HPV) für junge Erwachsene (im Alter von 19 bis 26 Jahren) bis September 2023 in Amsterdam.
Ergebnisse des Besuchs
Im Rahmen des Besuchs konnten sich die Teilnehmer/innen einen Überblick über die Kontrolle von Infektionskrankheiten und Impfprogrammen in den Niederlanden verschaffen und einführende Informationen zum niederländischen Nationalen Immunisierungsprogramm erhalten. Verschiedene Workshops boten den Teilnehmern Gelegenheit, Gedanken zum niederländischen Gesundheits- und Immunisierungssystem auszutauschen, wobei die mobilen Impfeinheiten als vorbildliche Lösung aus der Praxis besonders im Mittelpunkt standen.
Im ersten Workshop ging es darum, eine eingehende Analyse und gemeinsames Lernen im Rahmen von Gruppendiskussionen zu ermöglichen. Die Teilnehmer/innen ermittelten zentrale Punkte, die aus dem niederländischen Projekt abgeleitet werden können, unter anderem:
- Einrichtung vernetzter Register auf nationaler Ebene
- Aufbau eines nationalen Immunisierungsregisters zur Nachverfolgung von Impfraten
- Kooperation mit Kommunen und Gemeinden bei der Ausarbeitung des passenden Ansatzes für jede aufsuchende Maßnahme
- Verwendung des Ansatzes aktiver Einladungen
- Einbindung von Verhaltensforscher(inne)n in das Projekt für die Ermittlung geeigneter, wissensbasierter Methoden für aufsuchende Maßnahmen sowie auch für die wissenschaftliche Analyse der aufsuchenden Maßnahmen und den Erwerb weiterer Informationen über die Zielgruppe und Möglichkeiten für eine Kontaktaufnahme
Die Teilnehmer/innen ermittelten eine Reihe von Stärken dieser praktischen Lösung, unter anderem die einfache Zugänglichkeit für ortsansässige Personen sowie die zeitliche und örtliche Flexibilität bei der Verabreichung von Impfstoffen. Die Zusammenarbeit mit zentralen Bezugs- und Vertrauenspersonen aus der Gemeinde eröffnet einen Kommunikationskanal, mittels dem Vertrauen bei ortsansässigen Personen aufgebaut werden kann. Die mobilen Impfeinheiten geben die Möglichkeit, direkt mit schwer erreichbaren Gruppen darüber zu sprechen, wie wichtig Impfungen sind. Im Hinblick auf vielversprechende Chancen wurde der Einsatz von Bussen für vielfältige Aufgaben (d. h. andere Impfstoffe) ermittelt und auch seine Rolle als wichtiges Instrument für die Erhebung von Daten festgehalten, die für evidenzbasierte Entscheidungen verwendet werden können.
Es wurde ein „Impact Canvas“ verwendet, um die Teilnehmer/innen bei der Beurteilung der Möglichkeiten zur Übertragung dieser praktischen Lösung in ihr eigenes örtliches Gesundheitssystem und ihre Gesundheitsinfrastruktur anzuleiten. Die Teilnehmer/innen diskutierten grundlegende Aspekte wie beispielsweise Zielgruppen, Ressourcen, zentrale Aktivitäten, zentrale Partner, Kommunikationskanäle, finanzielle Tragfähigkeit und Evaluierung.
Zu den wichtigsten Aspekten der niederländischen mobilen Impfeinheiten, die angepasst und auf andere Mitgliedstaaten übertragen werden könnten, gehören:
- Ausweitung von Zielgruppen: individuelle Anpassung des Ansatzes für spezifische Gruppen wie beispielsweise schutzbedürftige Migrantinnen und Migranten, nomadisch lebende Bevölkerungsgruppen, obdachlose Personen und einkommensschwache Gruppen. Zielgerichtete Kampagnen würden zielgruppenspezifische Basisdaten für Entscheidungsträger(innen) liefern.
- Kommunikationskanäle und aufsuchende Maßnahmen: Ergänzung bestehender aufsuchender Kommunikationsmaßnahmen durch Kanäle und/oder Pakete für bestimmte Zielgruppen und Partner, beispielsweise eine verstärkte Onlinepräsenz (d. h. soziale Medien) zur Unterstützung lokaler Bemühungen im Rahmen aufsuchender Maßnahmen zur Information von Eltern über HPV-Impfungen und Einrichtung von Kanälen für zentrale Bezugs- und Vertrauenspersonen innerhalb der Gemeinden zur Vernetzung mit wichtigen Interessenträgern
- Impforte: Ausweitung der Impforte auf Berufsschulen und Sportzentren zur Kontaktaufnahme mit verschiedenen Zielgruppen
- Evaluierung: Berücksichtigung der in der Gemeinde vorhandenen Wahrnehmungen zu Impfaktivitäten, um die Überwachung des Erfolgs der aufsuchenden Maßnahme zu unterstützen und wichtige Rückmeldungen zur Verbesserung der Dienste zu geben
Die Teilnehmer/innen schätzten die Gelegenheit, eine neue Perspektive gewonnen zu haben, insbesondere durch den Besuch mobiler Impfeinheiten vor Ort. Die wichtigste Erkenntnis, die aus dem Besuch abgeleitet wurde, betraf den interdisziplinären Teamansatz, der Verwendung finden kann, um Kontakt mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen aufzunehmen, in denen eine gewisse Skepsis vorherrscht und die nicht auf traditionellem Wege erreicht werden können.
Mehr über die mobilen Impfeinheiten in den Niederlanden erfahren Sie unter den folgenden Links: